Rassebeschreibung vom Spitz nach Alfred Brehm (1890)

Der Spitz (Abbildung in der 1. Auflage), Zeichnung: Jahrmargt nach Kretschmer
Der Spitz (Abbildung in der 1. Auflage), Zeichnung: Jahrmargt nach Kretschmer

Was der Schäferhund für die Herden, ist der Spitz oder Pommer (Canis familiaris domesticus pomeranus) für das Haus. Klein oder höchstens mittelgroß, kräftig und untersetzt, spitzköpfig und spitzschnauzig, als müßte man auf Reineke den Verdacht der Vaterschaft werfen, kurzbeinig und langschwänzig, ausgerüstet mit mäßig großen Ohren und eben solchen klugen und lebhaften Augen, dicht eingehüllt in ein bald grobes und langes, bald feines und kurzes Fell von rein weißer, gelber, fuchsroter, grauer, ausnahmsweise auch schwarzer Färbung, höchstens noch mit lichter Stirnblesse und weißen Abzeichen an den Füßen, tritt er uns entgegen, so daß man ihn schwerlich verkennen kann.
Dieser in seiner Art ebenfalls ganz vortreffliche Hund wird in vielen Gegenden Deutschlands als Wächter auf Bauernhöfen zum Bewachen des Hauses und Hofes oder von Fuhrleuten als Hüter ihrer Wagen benutzt. Bei letzteren fehlt er wohl selten und übernimmt hier zugleich noch eine andere Rolle: er erheitert und erfreut durch sein munteres Wesen den in gleichmäßiger Weise seinen Tag verbringenden Mann bei dem schwierigen Geschäfte. Der Pommer gilt für die beste Rasse, weil er bei unwandelbarer Treue und Anhänglichkeit besonders ausmerksam und lebhaft ist, dabei weder Regen noch Kälte scheut, ja gewöhnlich im Hause oder Hofe dort am liebsten zu liegen pflegt, wo der Wind am stärksten pfeift. Übrigens zeigen alle Spitze einen großen Hang zur Freiheit und taugen deshalb nicht als Kettenhunde, während sie als umherstreifende Wächter ihrer Treue und Unbestechlichkeit wegen unersetzbar sind.

Canis familiaris domesticus pomeranus Deutscher Spitz, Wolfsspitz Holzschnitt
Spitz (Canis familiaris domesticus pomeranus)

In seinem Wesen und Betragen unterscheidet sich der Spitz wesentlich vom Schäferhunde. Abgesehen von der unermüdlichen Wachsamkeit, welche beide mit gleichem Eifer ausüben, und seiner Freundschaft gegen Haustiere ist er das gerade Gegenteil von diesem, immer in Bewegung, soviel wie möglich laut, ein oft höchst unangenehmer Kläffer sogar, heftig, reizbar und bissig. Weder im Gehöfte noch auf dem Wagen kann er in Ruhe bleiben. Dort lockt ihn jeder Vorübergehende an die Straßenthür, jedes ängstlich gackernde Huhn in den Hintergarten; hier setzt er mit geschickten Sprüngen von der Ladung auf den Bock, vom Bocke auf den Rücken des Pferdes, oder aber herab auf die Straße und von dieser wieder auf den Wagen. Wie der Schäferhund liebt er Haustiere ganz ungemein, am meisten aber doch die Pferde, mit denen er sich förmlich verbrüdert; wie seinem Verwandten geht ihm das Wohl und Wehe seiner Pflegebefohlenen, unter welche er selbst das Federvieh rechnet, sehr zu Herzen: aber während jener seine Arbeit still und gemessen verrichtet, tobt er ununterbrochen im Hause und Hofe umher, und sein beständiges Gebell gewinnt den Anschein des Keifens eines ewig schlecht gelaunten Wesens. Und doch ist er keineswegs übellaunig, sondern nur eifrig und über the Maßen geschäftig. Alles Mißtrauen, welches er gegen Fremde jeden Standes an den Tag legt, wurzelt einzig und allein in dem Bestreben, seinem Gebieter voller Hingabe zu dienen. Zunächst sieht er in jedem Geschöpfe einen Dieb, mindestens einen Lästigen oder Störenfried, dem gegenüber er Haus und Hof, Vieh und Gerät zu verteidigen hat. Der Besuchende wird übel empfangen, der fechtende Handwerksbursche nicht viel schlimmer, der Bettler kaum mit größerem Ingrimm; aber während er ersterem, sobald er ins Haus getreten, freundlich begegnet, knurrt er den Handwerksburschen noch an, nachdem er sich von dessen Ungefährlichkeit überzeugen mußte, und verfolgt er den Bettler noch bellend, nachdem dieser bereits Haus und Hof verlassen hat. Zwei- und vierbeinige, behaarte wie gefiederte Räuber und Diebe mögen sich vor dem Spitze in acht nehmen: gegen sie ist er mit Bewußtsein heftig, zornwütig, unerbittlich. Er verbeißt sich, und ob es ihm das Leben kosten möge, in der Wade des Diebes, kämpft ingrimmig mit dem Fuchse, weicht selbst dem Wolfe nicht und tötet den Habicht, welcher sich auf die Henne stürzte, falls dieser sich nicht durch schleunige Flucht rettet.
Alles beschützen, alles in Ordnung halten, das ihm Anvertraute mit unbestechlicher Treue hegen und pflegen, scheint Lebenszweck des Spitzes zu sein.

„In der Nähe eines vielbesuchten Badeortes mit schöner Umgebung“, so erzählte mir eine feininnige Frau, „lernte ich einen der wackersten Spitze kennen, welcher mir jemals vorgekommen ist. Wir wünschten einige der nächsten Aussichtspunkte zu besuchen und verlangten vom Wirte Weg und Steg zu wissen. Ich will Ihnen einen Führer mitgeben, auf welchen Sie sich verlassen können, bemerkte der Mann und rief seinen Hund herbei. Spitz, fagte er, du führst diese Herrschaften und zeigst ihnen alles, – alles, hörst du! Spitz antwortete durch Wedeln des Schwanzes, machte die Runde von einem Mitgliede der Gesellschaft zum anderen und setzte sich in Bewegung. Unter seiner Führung stieg man den Berg hinauf. Einige Gesellschaftsmitglieder blieben zurück. Spitz wartete, ruhig am Wege sitzend, bis sie herangekommen waren; eine andere Gesellschaft, welche tags vorher denselben Führer benutzt hatte, kam non oben herab, erkannte den Hund und lockte ihn an sich: Spitz wedelte freundlich dankend, blieb sich aber seines Auftrags bewußt und verließ die neuen Bekannten nicht. Rechts und links ab vom Wege führte er die ihm Anbefohlenen; auf jedem Aussichtspunkte blieb e sitzen, bis man sich zum Weitergehen anschickte; endlich kehrte er um. Er hatte seine Aufgabe glänzend gelöst, nichts versäumt, keinen schönen Punkt übergangen, kein Mitglied der Gesellschaft verloren. Sichtlich erfreut nahm er, zu Hause angelangt, das Lob seines Herrn und die Liebkosungen der von ihm Geführten entgegen.“

Alfred Brehm, 1869

Alfred Edmund Brehm (1829-1884)

Alfred Brehm ist der Sohn des Ornithologen Christian Ludwig Brehm. Er unternahm zahlreiche Reisen nach Afrika, Spanien, Skandinavien und Sibirien. Er wurde 1869 Direktor des Hamburger Zoologischen Gartens. Neben Reisebüchern schrieb er das mehrbändige Werk »Brehms Tierleben«.


Quelle:

Brehms Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. Säugetiere – Zweiter Band, 3. Auflage 1890, Überarbeitet von Prof. Dr. Eduard Pechuel-Loesche, Edmund Alfred Brehm; Druck vom Bibliographschen Institut in Leipzig (Erste Auflage erschien 1876-79)